Wissen schafft Sprache

Verena Hofstätter

S3E5 Wieso hört man mit vier Ohren besser?

Vier Ohren. Vier Schnäbel.

29.11.2022 11 min

Zusammenfassung & Show Notes

Sprache ist der Kitt, der uns Menschen zusammenhält. Doch was, wenn Sprache nicht nur zusammen bringt, sondern auch auseinander? Kommunikation ist manchmal ein richtiger Kraftakt. Doch warum kommt es so oft zu Missverständnissen? Und warum verstehen wir uns so oft "falsch"? Genau diese Fragen wollen wir im heutigen Beitrag beantworten.

Wie wir miteinander reden, sagt wie wir zueinander stehen. Stellen wir uns folgende Situation vor. Ein Pärchen steht mit dem Auto an einer Ampel. Die Frau sitzt am Steuer und der Mann sagt: “Du, die Ampel ist grün!” Da antwortet die Frau: “Fährst du oder fahre ich?” Was ist hier schiefgelaufen?

Dazu hat der deutsche Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun das sogenannte “Vier-Ohren-Modell” entwickelt. Für ihn besteht eine Kommunikationssituation immer aus drei Teilen: einer Senderin oder einem Sender, einer Nachricht, und einem Empfänger oder einer Empfängerin. Anders formuliert: Eine Äußerung kann auf vier verschiedenen Ebenen interpretiert werden. 

Für dieses vierseitige Modell kombiniert Schulz von Thun zwei andere bekannte kommunikationspsychologische Modelle. Zum einen bezieht er sich auf die Annahme des Wiener Psychologen Paul Watzlawick, der davon ausgeht, dass das, was wir sagen, neben einem Inhaltsaspekt immer auch einen Beziehungsaspekt hat. Zum anderen bezieht er sich auf den Sprachtheoretiker Karl Bühler. Dieser hatte sprachlichen Zeichen bereits in den 1930 Jahren drei unterschiedliche Funktionen zugeschrieben. Auch er ging davon aus, dass ein sprachliches Zeichen immer in Beziehung zum Sender, zur Empfängerin und zu den Gegenständen und Sachverhalten steht. Dabei hat das Zeichen eine Ausdrucksfunktion, eine Appellfunktion und eine Darstellungsfunktion.

Diese beiden Sichtweisen auf sprachliche Kommunikation verknüpft Schulz von Thun nun in einem gemeinsamen Modell, mit Ohren und Schnäbeln. Jede Äußerung enthält vier Botschaften:

  • Auf der Sachebene vermittelt der Sender Sachinformationen. Über die Farbe der Ampel zum Beispiel. 
  • Auf der Appellebene kommuniziert er, was er bei der Empfängerin erreichen möchte. Er formuliert einen impliziten Wunsch, eine Handlungsanweisung. Dass sie losfährt zum Beispiel.
  • Auf der Ebene der Selbstoffenbarung gibt der Sender etwas von sich preis. Zum Beispiel dass er es eilig hat, weil er ein wichtiges Meeting hat.
  • Auf der Beziehungsebene schließlich bringt er zum Ausdruck, wie er zur Empfängerin steht. Vor allem dieserAspekt wir häufig durch Tonfall, Mimik und Gestik vermittelt. Gut möglich, dass an der Ampel genau hier das Problem lag. Denn das, was ein Sender in eine Botschaft hineinsteckt, ist oft nicht das, was eine Empfängerin aus ihr heraushört.
Genauso wie der Sender mit jeder Nachricht auf allen vier Ebenen gleichzeitig kommuniziert, nimmt die Empfängerin auch jede Nachricht gleichzeitig mit all ihren vier Ohren auf.

Natürlich ist das Ampel-Beispiel etwas überspitzt dargestellt. Doch es verdeutlicht, wodurch Störungen und Konflikte in der Kommunikation zustande kommen. Nämlich wenn Sender und Empfängerin diese vier Ebenen unterschiedlich deuten und gewichten.

So ist es durchaus denkbar, dass er mit seinem “Es ist grün.” das Gewicht auf die Appellebene gelegt hat. Mit ihrer Antwort zeigt die Fahrerin allerdings, dass sie seinen Einwurf als Bevormundung auffasst. Ein klassischer Fall von Mansplaining würden wir heute wohl sagen. “Fährst du oder fahre ich?”

“Reine” Sachinformation gibt es in der Kommunikation nicht. Wir können nicht nur auf der Sachebene kommunizieren und die anderen Ebenen ausblenden. Weder auf der Senderseite noch auf der Empfängerinnenseite. Appell, Selbstoffenbarung und Beziehung schwingen immer mit.

Sprechen an sich ist immer eine gesellschaftliche Handlung. Und handeln hießt hier eben informieren, appellieren, offenbaren und Beziehungen pflegen. Das kann anstrengend sein. Es kann also nicht schaden, anderen gut zuzuhören, und sich immer vor Ohren zu führen, dass miteinander reden immer auch bedeutet miteinander zu leben. Und das ist eben nie einfach.


Quelle:

Das Kommunikationsquadrat (Schulz v. Thun Institut)

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