S2E2 Klassische Spracherwerbstheorien
… wie Kinder schnell und mühelos sprechen lernen?
08.02.2022 34 min
Zusammenfassung & Show Notes
Ist es nicht erstaunlich, wie schnell kleine Kinder sprechen lernen? Scheinbar mühelos lernen sie Wörter, Grammatik und alles, was sonst noch dazugehört, um sprachlich mit anderen zu interagieren. In der Geschichte der Spracherwerbsforschung haben sich einige wenige große Erklärungsmodelle für dieses Phänomen herausgebildet. Diese reichen von nativistischen Ansätzen, interaktionistischen Ansätzen bis hin zu kognitivistischen Ansätzen, und neuerdings auch Ansätze, die über diese Dreiteilung hinausgehen. Genau diese Modelle wollen wir uns heute etwas genauer ansehen.
Die beiden zentralen Streitfragen, die zu einer Abgrenzung der unterschiedlichen Modelle voneinander geführt haben, sind erstens die Frage nach angeborenem auf der einen Seite und erworbenem Wissen auf der anderen Seite und zweitens die Frage nach sprachspezifischem und domänenspezifischem Wissen.
Bei Versuchen, die Forschungslandschaft zu katographieren, ist aber immer mitzubedenken, dass diese Modelle, die ich gerade genannt habe, schon lange nicht mehr in ihrer “Reinform” sozusagen existieren.
Doch war wären diese "Reinformen"?
Nativistische Ansätze
Der mit Abstand berühmteste Vertreter, um nicht zu sagen Begründer, des Naturismus ist mit Sicherheit Noam Chomsky. Er geht davon aus, dass Kinder immer schon mehr über Sprache wüssten, als sie im Input vorfinden würden. Und dieses Wissen sei in ihnen quasi genetisch angelegt. Er geht davon aus, dass erstens Kinder selbst im Erwerbsprozess keine aktive Rolle einnehmen und dass zweitens sprachlicher Input zwar notwendig ist, um sprechen zu lernen, aber nur als Auslöser, sogenannter Trigger. Bezugspersonen als Gesprächspartner·innen, spielen in diesen Erklärungsmodellen also kaum eine Rolle.
Doch war wären diese "Reinformen"?
Nativistische Ansätze
Der mit Abstand berühmteste Vertreter, um nicht zu sagen Begründer, des Naturismus ist mit Sicherheit Noam Chomsky. Er geht davon aus, dass Kinder immer schon mehr über Sprache wüssten, als sie im Input vorfinden würden. Und dieses Wissen sei in ihnen quasi genetisch angelegt. Er geht davon aus, dass erstens Kinder selbst im Erwerbsprozess keine aktive Rolle einnehmen und dass zweitens sprachlicher Input zwar notwendig ist, um sprechen zu lernen, aber nur als Auslöser, sogenannter Trigger. Bezugspersonen als Gesprächspartner·innen, spielen in diesen Erklärungsmodellen also kaum eine Rolle.
Interaktionistische Ansätze
Ganz anders ist das bei sogenannten interaktionistischen Ansätzen. Diese interessieren sich nämlich gerade auf die Lernumgebung der Kinder. Sie folgen also im Gegensatz zu nativistischen Ansätzen keiner Inside-out-Annahme, sondern einer outside-in-Annahme. Bezugspersonen würden ein kommunikatives Unterstützungssystem aufbauen, in dem dann Spracherwerb stattfinden kann. Kinder würden deswegen sprechen lernen, weil sie kommunizieren und sich mit anderen austauschen wollen. Gelingen tut ihnen das Sprachenlernen dann, weil ihre Bezugspersonen in kindgerechter Weise mit ihnen sprechen und dieser Input informationsreich ist.
Kognitivistische Ansätze
Kognitivistische Ansätze sehen in Sprache keine spezifische Entwicklungsaufgabe. Jean Piaget sieht in der kindlichen Entwicklung ein Wechselspiel zwischen äußeren Einflüssen und inneren Strukturen. Kognitivistische Modelle betonen, im Gegensatz zu nativistischen und interaktionistischen, weniger die kommunikative Funktion von Sprache, sondern eher begrifflich-semantische Aspekte. Als Hauptaufgabe der Sprache wird die Kommunikation gesehen.
Konstruktivistsiche Ansätze
In sozial-pragmatischen Ansätze, wie dem von Tomasello zum Beispiel, gibt es zwar eine biologische, evolutionär entstandene Voraussetzung für Sprache und Kommunikation, allerdings ist diese Ausstattung nicht sprachspezifisch. Spracherwerb kann damit als Teil eines generellen kulturellen Lernprozesses modelliert werden. So gesehen bildet des konstruktivistische Modell einen Gegenpol zum nativistischen. Erstens wird hier dem Input eine viel wichtiger Rolle zugeschrieben, und zweitens basiert Spracherwerb hier nicht auf sprachspezifischen Fähigkeiten, sondern auf domänenübergreifenden wie der Imitation und der Analogiebildung, bei welchen es sich um allgemein sozial-kognitive Fähigkeiten handelt.
Emergenzmodelle
Um die Dichotomie zwischen inside-out und outside-in-Annahmen aufzubrechen, schlagen sogenannte Emergenzmodelle vor, beide Komponenten, also Umwelt und biologische Anlagen, in die jeweiligen Erklärungsansätze mit einzubeziehen. Zwar werden auch hier dem Kind früh vorhandene Lernmechanismen zugeschriebenen, der Input gewinnt hier aber an Bedeutung. Das Kind bleibt durchgehend aktiv im Erwerbsprozess, muss also aktiv neue sprachliche Informationen aufnehmen, durch die sich das Wissenssystem verändert, was wiederum auf die Verarbeitungsprozesse zurückwirkt, neue Informationen verwertet werden können und so weiter und so fort. Dadurch ergibt sich ein dynamisches Zusammenspiel.
Mehrsprachiger Spracherwerb
Mehrsprachigkeit im Kindesalter wird in den einschlägigen Fachdiskursen heutzutage zum Glück sehr viel positiver bewertet als früher. Man geht mittlerweile davon aus, dass der Erwerb mehrerer Sprachen im Kindesalter in den allermeisten Fällen vollkommen unauffällig passiert, dass Mehrsprachigkeitsphänomene wie etwa Code-Switching und dergleichen effektive Kommunikationsstrategien und adäquate stilistische Mittel sind und vor allem auch davon, dass Mehrsprachigkeit allein bzw. an sich die Sprachentwicklung nicht negativ beeinflusst oder gar zu Sprachentwicklungsstörungen führt. Der simultane oder sukzessive Spracherwerb in bzw. von mehreren Sprachen bis zu einem Alter von etwa vier Jahren wird mittlerweile genauso wie einsprachiger Spracherwerb behandelt.
Literatur zu den Modellen aus dieser Folge:
Chomsky 1 | Chomsky, 2 | Studie von Hoff | Tomasello 1 | Tomasello 2 | Hollich et al. | Hirsh-Pashek und Golinkoff
Chomsky 1 | Chomsky, 2 | Studie von Hoff | Tomasello 1 | Tomasello 2 | Hollich et al. | Hirsh-Pashek und Golinkoff
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