Wissen schafft Sprache

Verena Hofstätter

S2E13 Erstspracherwerb: Erste Wörter (Teil 3)

... wie Kinder ihre ersten Wörter lernen

12.07.2022 32 min

Zusammenfassung & Show Notes

Wenn Kinder ihre ersten Wörter lernen, müssen sie diese irgendwo abspeichern. Und wo speichert man Wörter besser als in einem Lexikon. Auch unser menschliches Gehirn hat ein solches mentales Lexikon. In der heutigen Folge schauen wir uns an, welche Wörter Kinder in ihren ersten Lebensjahren dort ablegen und wie sie diese mit Bedeutung verknüpfen.

Kinder beginnen am Ende des ersten Lebensjahres damit, Wörter nicht mehr nur an ihrer Form wiederzukennen, sondern sie auch mit Bedeutung zu verknüpfen. Die Anzahl der Wörter, die ein Kind versteht, vergrößert sich rasch. Mit 8 Monaten verstehen Kinder im Schnitt 36 Wörter. Mit 16 Monaten sind es bereits 190. Ein sechsjähriges Kind versteht dann schon zwischen 9.000 und 14.000 Wörtern. Ungefähr zur selben Zeit, also um den ersten Geburtstag herum, können Kinder auch ihre ersten eigenen Wörter sprechen.

Als Wörter zählen nicht nur Wörter, so wie wir uns Wörter aus unserer Erwachsenensprache vorstellen. Als erste Wörter zählen auch: Tierlaute (kikeriki, muh, miau), vereinfachte Wörter (wauwau für Hund, toto für Auto) oder Ausrufe (hui beim Rutschen, oho, wenn etwas kaputtgeht) und Kindergebärden. Kindergebärden oder Baby Sign sind — aus meiner Erfahrung — ein sehr effektiver und bereichernder Weg, die Kommunikation innerhalb der Familie zu verbessern.

Grundsätzlich spiegelt das frühe Lexikon natürlich die konkrete Erfahrungswelt der Kinder wider. Der Wortschatz eines Kindes wächst zuerst einmal in die “Breite”, und zwar in drei wichtigen Erwerbsphasen.

In einer ersten Phase zwischen ein und eineinhalb Jahren treten in der kindlichen Sprache größtenteils noch sogenannte interaktive oder relationale Wörter auf. Außerdem tauchen in dieser frühen Phase auch Lautmalereien wie brum brum oder Eigennamen wie Mama oder Papa auf. In dieser ersten Phase enthält der kindliche Wortschatz zirka 50 Wörter.

In einer zweiten Phase zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren wächst der kindliche Wortschatz auf etwa 100 bis 300 Wörter an. Dabei gehen die frühen Wortkategorien, die ich gerade erwähnt habe, etwas zurück, während vor allem Nomen hier stark zunehmen.

Außerdem beginnt in dieser Phase auch bereits der Erwerb von Verben, der dann aber erst in der dritten Phase, mit zweieinhalb bis drei Jahren, wenn das Kind in etwa 400 Wörter sprechen kann, so richtig Fahrt aufnimmt. In dieser Phase werden auch Funktionswörter immer häufiger und der kindliche Wortschatz differenziert sich allgemein weiter aus. 

In der Literatur, und auch im Alltag, wird immer wieder beobachtet, dass Kinder nach einer ersten relativ langsamen Wachstumsphase im Wortschatz plötzlich mit irrsinniger Geschwindigkeit neue Wörter dazulernen. Aufgrund dieser Geschwindigkeit wird diese Phase oft mit dem Begriff “Vokabelspurt” bezeichnet. 

Deutschsprachig aufwachsende Kinder lernen anfangs sehr rasch sehr viele Nomen dazu. Erst im weiteren Verlauf nimmt dann der Anteil der Nomen am Gesamtwortschatz der Kinder wieder etwas ab. Am Ende des dritten Lebensjahres in etwa entspricht dann der Anteil der jeweiligen Wortarten dem Anteil in der Erwachsenensprache. Doch das Auftreten bestimmter Wortarten und auch der Anteil der einzelnen Wortarten am Gesamtwortschatz ist von Sprache zu Sprache unterschiedlich .

Kinder treffen beim Wörterlernen allerdings nicht immer ins Schwarze. Besonders schön sieht man das daran, dass sie dazu neigen, anfangs die Bedeutung, die wir als Erwachsene einem Wort zuschreiben, entweder verengen oder übergeneralisieren. Also manchmal ist ein Hund nur ein Tier das vier Beine hat, ein Fell, das klein ist und schwarz. Der umgekehrte Fall wäre, wenn ein Kind plötzlich alle Tiere als Hunde bezeichnen würde. 

Wie stellt das Kind also eine Verbindung zwischen Wort und Bedeutung her? 

Die einen sagen, Kinder würden aufgrund dieser Strategien erst gar nicht alle logisch möglichen Hypothesen aufstellen, sondern würden von vornherein bestimmte Hypothesen priorisieren. Ein Problem mit diesem Erklärungsansatz besteht darin, dass sich diese Erwerbsbeschränkungen zwar sehr gut an Nomen zeigen lassen, nicht aber bei anderen Wortarten.

Andere Erklärungsansätze sind deshalb eher pragmatisch orientiert. Kindern schließlich zahlreiche sprachliche und soziale Hinweise in der Umgebung zur Verfügung stehen, um zu einer Wortbedeutung zu kommen. Da Kinder aber vermutlich erst mit etwa 18 Monaten in der Lage sind, solche sozialen Hinweise zu interpretieren, können diese Ansätze allerdings sehr frühe Phasen des Wortlernens nicht erklären.

Neuere Ansätze, die wir in Folge 11 bereits als Emergenzmodelle kennengelernt haben, halten es daher für wahrscheinlich, dass sich Kinder im Verlauf des Wortschatzerwerbs, je nach Entwicklungsstand, auf unterschiedlicheHinweisreize verlassen, um auf die Bedeutung eines Wortes zu kommen. Nach und nach würde Kindern die “Suche” nach der korrekten Bedeutung einfacher fallen, weil sie lernen, diese verschiedenen Hinweisreize zu kombinieren.


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Nach- und Weiterlesen : Kindlicher Spracherwerb (Kauschke 2012) | Frühe Sprachentwicklung (Rohlfing 2019)

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