Wissen schafft Sprache

Verena Hofstätter

S2E10 Deutschförderung in der Schule

… warum einsprachige Deutschförderung nicht funktioniert

31.05.2022 39 min

Zusammenfassung & Show Notes

Sprachförderung, die sich zu sehr an einsprachigen Normen und einer objekthaften Vorstellung von Sprache an sich orientiert, wirkt sich nicht nur negativ auf das Sprachenlernen aus, sondern hat auch harte diskriminierende Effekte auf die Sprachlerner·innen. Ein kritischer Blick auf das österreichische Modell der Deutschförderklassen zeigt, warum einsprachige Deutschförderung der falsche Weg ist, um Bildungsgerechtigkeit zu garantieren.

Die OECD hat 2018 festgestellt, dass in der EU im Durchschnitt eines von vier schulpflichtigen Kindern entweder selbst im Ausland geboren ist, oder zumindest einen Elternteil hat, der im Ausland geboren ist. Statisch zeigt sich aber für Österreich (gesamt), dass 27% der Schüler·innen, die im Schuljahr 2018/19 in Schulsystem eingetreten sind, Deutsch als Zweit- oder weitere Sprache hatten. In der Hauptstadt Wien geht man davon aus, dass der Anteil der Schüler·innen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch in diesem Jahr sogar bei 53% gelegen hat.

Als Antwort auf diese Zahlen wurden 2018 sogenannte Deutschförderklassen geschaffen, in denen nicht (ausreichend) Deutsch sprechende Schüler·innen, Deutsch lernen sollen, bevor sie in eine Regelklasse wechseln.

Dieses Sprachfördermodelle wurde bereits großflächig und mitunter sehr scharf kritisiert. Kritisiert wurde, und wird immer noch, dass in Deutschförderklassen genau das Gegenteil von dem gemacht wird, was die moderne Sprachlehrforschung aktuell herausgefunden hat, dazu wie zusätzliche Sprachen nach der Erstsprache gelernt bzw. erworben werden. Kritisiert wird auch der ausgrenzende Charakter dieser Klassen, die Kinder werden nicht mehr gemeinsam unterrichtet, gleichaltrige Sprachvorbilder fehlen größtenteils. Und kritisiert wird unter anderem auch, dass das emotionale Wohlergehen der Schüler·innen in diesen separaten Klassen auf der Strecke bleibt. Sie leiden unter dem Stigma der Absonderung, unter einem instabilen Lernalltag, der vom einem ständigen Klassenwechsel und einem ständigen Kommen und Gehen von Mitschüler·innen, aber auch Lehrer·innen geprägt ist.

Die internationale Forschung zu Sprachfördermodellen zeigt mittlerweile sehr deutlich, welche Faktoren dazu beitragen, dass Kinder Sprachen besser lernen und sich in eine Klassengemeinschaft, in eine Schulgemeinschaft integrieren. 

Damit ein Sprachfördermodell erfolgreich sein kann, braucht es erstens, eine qualitativ hochwertige, sprachsensiblepädagogische Ausbildung, zweitens, eine ebenso qualitativ hochwertige sprachfokussierte Unterrichtspraxis und drittens die Förderung von Inklusion und sozio-emotionaler Entwicklung.

Das aktuelle österreichische Modell erfüllt keines dieser Kriterien.
 
Es bezweckt zwar die möglichst rasche Eingliederung der Schüler·innen in eine Regelklasse, unterstützt die Entwicklung wichtiger sprachlicher Kompetenzen aber nicht, da es weder ausreichend noch ausreichend qualifizierte Pädagog·innen einsetzt, die Lernenden absichtlich von förderlichen Sprach- und sozialen Kontakten mit gleichaltrigen Sprachvorbildern abschottet und mithilfe eines wissenschaftlich nicht fundierten, und daher wenig aussagekräftigen, Sprachtests nach Defiziten auf Deutsch sucht, ohne die sprachlichen Ressourcen der Lernenden zu berücksichtigen.

Alles in allem ist davon auszugehen, dass das Modell der DFK in Österreich nicht “fit for purpose” ist, also dem Zweck, zu dem es eigentlich geschaffen worden ist, nicht dienlich ist.

In einer Lehrer·innenbefragung wurden Verbesserungsvorschläge für das Modell gesammelt: Genannt worden sind unter anderem die Verringerung der Klassengröße, Teamteaching, und zwar mit mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Lehrer·innen, ganz viel gemeinsames Lernen im Fachunterricht in der Regelklasse, und allen voran eine gründlichere pädagogische Aus- und Weiterbildung. Nur so könnte schließlich auch gewährleistet werden, dass Mehrsprachigkeit anerkannt wird, sowohl bei den Kindern, als auch im Klassenzimmer, und nicht mehr nur einseitig Deutsch gefördert wird.

Mehr als 80% der befragten Lehrkräfte würde sich aber allerdings ein komplett anderes, nämlich ein integratives Sprachfördermodell wünschen.


Ausgewählte Medienberichte: Die Furche (Sept 2019) | Schulgschichtn (Sept 2020) | ORF (März 2022) | Arbeiterkammer Wien (Okt 2021)

Passend zum Thema Bildung: Im Blog findet ihr die aktuellen Beiträge zur Serie zum Schriftspracherwerb.

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